Das Schloss öffnet sich

Während sich das Wasser noch verschlafen um meine Festung kräuselte und das Geheimnis des Lebens, das sich in seinen Tiefen tummelte, weiterhin im Verborgenen lag, klopfte auf einmal ein Wort an das Tor meines Traumschlosses, verneigte sich höflich vor dem Wache schiebenden Bediensteten und bat um Einlass. Nach dem routinemäßigen prüfenden Blick wurde die Freundlichkeit in Person schließlich in mein Empfangszimmer geleitet, wo ich sie nach langem Gespräch ihrem Ehrenplatz in einem dicken Goldrahmen überm Kamin zuführte.
Ich war gerade das letzte Mal mit dem Staubwedel über jenes ovale Spiegelporträt gefahren, da wurde mir schon der nächste Besuch angekündigt: Die Freude, die älteste Tochter der Freundlichkeit, war eigentlich nur auf einen Sprung vorbeigekommen; doch dem Wirbelwind gefiel es so gut in diesem Palast, dass auch sie zum Dauergast wurde.
Sicher, wenn Tante Trübsal in ihrer langen schwarzen Robe oder Onkel Hass-an in signalroten Gewändern und gestachelten Stiefeln sich temporär als Untermieter einnisten würden, würde die Freude auch mal zum Fenster hinausfliegen. In der Zwischenzeit vergnügte sie sich damit, begeistert durch sämtliche Räume zu schweben, fröhlich wie ein Flummi umhertitschend in der Küche und streichelsanft gleich einer lauen Brise in den Gemächern. Dabei verbreitete sie überall ihren unverwechselbaren Duft, der in verschiedenen Spielarten von Süß ihre Farbe zwischen rosenblütenrot, schweinchenrosa, sonnengelb und pfefferminzgrün wechselte und dabei seine jeweils passende Sinfonie aus Geigen-, Bimmelglöckchen-, Balalaika- und Triangelklängen aufspielte.
So fasziniert hatte ich mich von diesem Sinnenzauber, der eigentlich ein Strudel phantastischer Magie war, in ihren Bann ziehen lassen, dass ich erst gar nicht bemerkte, dass seit geraumer Zeit ein weiteres Wort hartnäckig gegen das Schlosstor hämmerte.
"Jaaahaa, ist ja schon gut," rief ich dem Gehämmer nicht gerade beruhigend entgegen. "Ich gehe ja schon." In solchen offenbar dringenden Fällen empfing ich die Worte immer persönlich - auch wenn ich manche nur zu gern zurückgeschickt oder aber mit einem deftigen Tritt in den Wassergraben befördert hätte.
Bei diesem hier war es anders. Ihm konnte ich mich nicht so einfach entziehen. Es hatte den weiten Weg nur für mich gemacht, um seine Botschaft zu übermitteln:
"Hallo."
Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

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